Sonntag, 2. Oktober 2005

Paradise not now, but somewhen.
Ein Film eines Palästinensers über palästinensische Selbstmordattentäter - das kann nicht ohne lautstarke Diskussionen bleiben. Im Internet wird auf angeblich "israelfreundlichen" Seiten gegen den Film "paradise now" polemisiert und zu Demonstrationen aufgerufen. Der Vorwurf: Der Film rechtfertige Selbstmordattentate, mache sie nachvollziehbar und zeige für Mörder Sympathie. Und tatsächlich wird der Regisseur des Films in arabischen Medien mit Sprüchen zitiert, die keine restlose Verdammung von Attentaten erkennen lassen.

Aber ganz so einfach ist es dann mit der Beurteilung doch nicht. Natürlich sind die beiden Selbstmordattentäter die Hauptfiguren, natürlich verfügen sie über ein gewisses Potential der Identifizierung. Vor allem, weil sie eben keine komplett fanatisierten Volldeppen sind, sondern unsicher sind, zweifeln, Emotionen zeigen. Der Film ist, was die Gefühle angeht, logisch und konsequent. Es ist kein plumpes Propaganda-Machwerk, dazu sind die Strukturen des Terrorismus, die Hintermänner und Profiteure viel zu negativ gezeichnet. Die Attentate sind keine James-Bond-Action, sondern stümperhaft umgesetzte, dumme Metzeleien. Die Organisation im Hintergrund wird als zynisch und menschenverachtend dargestellt - zumindest kann man die Szenen so deuten.

Natürlich kann man ihn auch anders sehen. Es fehlt der Blick auf die israelischen Opfer. Er macht eventuell Mörder sympathisch. Er zeigt das Umfeld, in dem Terror entsteht, und Israel kommt natürlich nicht gut dabei weg. Natürlich geben Juden anderen Filmen den Vorzug, wie den in München letzte Woche gezeigten Dokumentarfilm "Der Tag, an dem ich ins Paradies wollte". Esther Schapira zeigt darin einen Fall, der glimpflich verlief, und der die Strukturen hinter dem Terror gründlich ausleuchtet.

Aber man darf bei all der Aufregung um Paradise Now nicht übersehen, in welchem Umfeld dieser Film spielt. Es ist noch nicht lang her, da sprachen sich 80% der Palästinenser für solche Anschläge als legetime Reaktion auf die israelische Besetzung aus. Vorbehaltlos, ohne nachzudenken. Gestern hat man gesehen, dass es überall gedankenlos propagiert wird, auch in Bali. Genau das tut der Film nicht; er ist voll von Vorbehalten.

So sehr man in gewissen Kreisen den Film und seine Aufführung als Propaganda begreift: Zuerst einmal ist er ein Beitrag zu einer Debatte, die unterhalb der Palästinenser geführt werden muss. Keiner von "denen" wird einen Film zu dem Thema von "uns" einfach so anschauen. Anders wäre es schöner, aus meiner Sicht, klar, aber man muss das im Auge behalten, was machbar ist. In dieser Funktion ist der Film fast schon revolutionär. Und unendlich weit weg von der Propaganda, mit der sonst in Palästina Politik gemacht wird. Die Hamas debattiert nicht, die Hamas lässt Kinder in der Öffentlichkeit mit scharfen Raketen spielen.

Man muss Paradise Now nicht mögen. Ich habe mich im Kino nicht gerade amüsiert, es gibt angenehmere Filme. Ich glaube nicht, dass der Film wirklich Sympathie für Selbstmordattentate erzeugt. Und dass er in der arabischen Welt mitunter auch nicht allzu bgeistert aufgenommen wird, zeigt, dass es sicher kein Anschauungsunterricht für die Hamas ist. Bleibt nur zu hoffen, dass Paradise Now nicht nur in München, sondern auch in Nablus und Gaza läuft. Dort sitzen die wirklichen Adressaten.

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...Danke für diesen Beitrag. Nachdem überwiegend negative Reaktionen zu diesem Film zu lesen waren, musste ich mir natürlich „Paradise Now“ ansehen und finde dass Dein überarbeiteter Beitrag nun den Kern des Films trifft.

SCHANA TOVA zum Rosh Haschana 5766

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Merci beaucoup
Eine sehr gute Besprechung, auch der Umstände. Als nicht direkt Betroffene ist es immer schwierig, von Betroffenen eine moderate Sichtweise zu fordern. Zumal die Zahlen antisemitischer Übergriffe gerade dieses Jahr wieder furchtbar angestiegen sind (jedenfalls in der Schweiz und in Frankreich).

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Meinen Glückwunsch zum hervorragenden Artikel, der
nach Wiederholung lechzt!

PS:

Was ich im Zorn vollbracht,
wuchs voll Pracht
über Nacht - und ward verregnet.

Was ich aus Lieb` gesät,
keimte stet,
reifte spät - und ist gesegnet !

Peter Rosegger

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Warum "Paradise Now" ein ganz schlechter Film ist
In der Netzeitung wurde Esther Schapira zu dem Film interviewt:
http://www.netzeitung.de/voiceofgermany/362090.html
Dort erwähnt Frau Schapira eher am Rande einen Umstand, der merkwürdigerweise bislang kaum thematisiert wurde, nämlich das in "Paradise Now" auftauchende Klischee des geldgeilen Juden. Der Mann, der die beiden Attentäter zu ihren Anschlagszielen bringen soll, wird im Film als israelischer Jude dargestellt. Erkennbar wird dies durch die Empfehlung an die beiden Attentäter, sich notfalls auf englisch mit ihm (dem Fahrer) zu verständigen. Wer, wenn nicht ein israelischer Jude, müsste sich gegebenenfalls auf englisch mit einem Palästinenser verständigen? Mal ganz abgesehen von der absurden Idee, ein Jude würde wissentlich und zwecks eigener Bereicherung Selbstmordattentätern bei der Erfüllung ihres Plans helfen.
Spätestens hier offenbart der Film einen antisemitischen Unterton, der -bewusst oder unbewusst- seitens der medialen Öffentlichkeit bislang ignoriert wurde! Anders ist die Auszeichnung mit dem Menschenrechtspreis von amnesty international nicht zu erklären (vgl. hierzu http://blog.tagesspiegel.de/flatworld/eintrag.php?id=71 ).

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Warum Du erst mal nachdenken solltest - und nicht lügen
Ändert das was an meiner Argumentation?

Abgesehen davon: Wer sich das Vergnügen macht, regelmässig Ha´aretz oder die JPost zu lesen, wird immer wieder mit dem Umstand konfrontiert, dass es in Israel tatsächlich Leute gibt, die mit palästinensischen Terroristen zusammenarbeiten. Das beginnt beim Drogenhandel, über die Waffenschiebereien bishin zu Geldwäsche. Und wer sonst? Schon mal in Israel gewesen? Seit der Intifada I und der erschwerten Einreiseprozeduren ist Israel voller Gastarbeiter, die die Jobs der Palästinenser übernehmen. Israelis, mit Verlaub, verstehen und sprechen ziemlich oft mehr als ein paar Brocken arabisch - allein schon wegen des Wehrdienstes in den Gebieten.

Also, auch Frau Schapira sollte Typen wie Dir nicht das Denken abnehmen. Und schon gar nicht solltest Du Frau Schapira was in den Mund legen, was sie in der Netzeitung nicht gesagt hat. Das ist, offen gesagt, ein widerliches verhalten.

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