Donnerstag, 14. Juli 2005

Terror-PR
So ein Selbstmordattentäter ist kein verstockter Schweiger, der grimmig seinen Job macht. Ein Selbstmordattentäter hat nur noch eine einzige Gelegenheit, das zu sagen, was er und seine Hintermänner denken: Den Anschlag an sich. Es mag zynisch klingen, aber der Anschlag ist Kommunikation, er ist PR, er orientiert sich an den Strukturen der Medien und liefert ihnen das, was sie brauchen - und dazu die Aussagen, die kommuniziert werden sollen.

Die Mörder von London sagen ein paar fraglos richtige Dinge: Es ist kein Krieg Land gegen Land mehr, kein ihr gegen uns. Die Front ist überall. Sie sagen ganz klar, dass die Herkunft und Erziehung keine Rolle spielt, und auch die Umwelt den nötigen Einfluss nicht immer hat. Sie sagen, dass sie zu allem bereit sind, und sie teilen uns mit, dass eine Clique dafür ausreicht, die sich selbst bestätigt. Sollte es sich herausstellen, dass es noch einen fünften Attentäter gab, der es dann doch nicht getan hat, würde das wenig an ihrer Aussage ändern; eine kleine Irritation, eine Ausnahme von einer Regel.

Sie sagen auch, dass wir uns etwas vorgemacht haben, dass hinter dem lustig erzählten Cultural Clash von "Mein wunderbarer Waschsalon" und "Kick it like Beckham" noch ganz andere Probleme stecken, als es sich die Briten und wir haben träumen lassen. Und die Beliebigkeit der Attentäter soll uns sagen, dass es jeder andere Pakistani, Syrer, Inder, Lybier, Saudi oder Indonesier genauso tun könnte. Hier jetzt, morgen, wann anders, in drei jahren, je nach Lust und Laune.



Es ist bei solchen Informationen immer schwer, zwischen wahren Aussagen und Propaganda zu unterscheiden. Selbst in der totalen Verblendung so eines Arschlochs steckt ein guter Teil wahrheit; leider ist der Irrsinnsteil ideales Futter für artverwandte Arschlöcher der Überwachungs-, Polizeistaat-, Bürgerrechtsabschaffungs-Fraktion. Meist sind das auch die eigenen Überfremdungs- und Durchrassungsfanatiker, die dank eigener christlich-abendländischer Überlegenheitssprüche der anderen Seite wieder Futter liefern. Araber gegen Europäer, Christen gegen Moslems - das sind die Fronten, die beide wollen.

Dabei geht es um einen Konflikt, der sich schon seit Jahrtausenden durch jedes Volk und jede Kultur zieht: Toleranz und Aufklärung gegen Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung. Die Arschlöcher in der U-Bahn denken strukturell auch nicht anders als die Arschlöcher der deutschen freikorps der zwanziger Jahre, die Hassprediger in den Moscheen verstünden sich ganz blendend mit französischen Klerikalen aus der Zeit der Dreyfus-Affaire. Und was passiert, wenn man die Irren zu lange gewähren lässt, sieht man im Moment bei den fanatischen Siedlern im Westjordanland - die Vorstellung, dass diese Durchgeknallten demnächst in Israel siedeln, ist für viele Israelis auch nicht gerade angenehm. Das Problem hat mit den klassischen militärischen Konflikten, bei denen Religion allenfalls ein Unterstützer ist, nichts zu tun, und ist deshalb nach militärischen Gesichtspunkten auch nicht zu gewinnen. Das Einzige, was da hilft, ist der zähe Kleinkrieg um die Ausgestaltung der eigenen Gesellschaft. Die Anschläge in London, verübt von Briten, treffen nebenbei auch das liberale Staatsbürgerschafts recht in England und Deutschland, und es wundert mich, dass da noch kein Hinterbänkler dazu seine rassistische Scheisse ausgekotzt hat.

Kommt wahrscheinlich noch. Aber es hilft nichts, da müssen die westlichen Gesellschaften durch, wir müssen die Minderheiten ansprechen, mitnehmen, bei Fortschritten belohnen und bei Rückfällen nicht pauschalisieren, sondern die durch solche Katastrophen, Versagen und Verbrechen sichtbaren Probleme anpacken. Also genau das tun, was die Terroristen auf keinen Fall wollen. Ihre Kommunikation entkräften. Und, so hart das auch sein mag, nie vergessen, dass man in jedem land, in jeder Gruppe und schicht immer die vier Arschlöcher finden, die sich zu so einer Scheisse überreden lassen. man kann sie nicht völlig verhindern, aber man kann ihnen das Sterben und Töten schwerer machen.

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