Sonntag, 12. Februar 2006

Darf ich mal was sagen?
Jetzt, nachdem das Gerede um die Mohammed-Karikaturen in den normalen Medien vorbei ist - schliesslich haben der Spiegel und andere ihre reisserischen Nummern unters Volk gebracht - melden sich gerade in Europa eine Reihe von Leuten zu Wort, die sich vielleicht "liberal", "aufgklärt" und "prowestlich" nennen, aber anhand ihrer Vita problemlos im klassischen rechts-links-Schema am rechten Rand zu verorten sind. Das gefällt denen nicht, ich mache es trotzdem.

Ich habe auch einen guten Grund. Denn deren Argumente - Kapitulation vor "den" Muslimen, Aufgabe "der" westlichen Prinzipien, Niederlage "der" Aufklärung, Scheitern "der" Integration klingen so vertraut, so altbekannt, so ekelhaft nach dem, was zwischen 1800 und 1933 an Argumenten gegen die jüdische Assimilation vorgetragen wurde. Man vergisst diesen "intellektuellen" Antisemitismus gerne, der sich problemlos an den deutschen Geisteshelden festmachen liesse. Ob nun Goethe, Hegel, Fichte oder Richard Wagner bis hin zum Staatsrechtler Carl Schmitt - sie alle haben diese Debatte mit genau diesen Argumenten schon mal vorgelebt. Man redet heutzutage lieber über Hitler, den Stürmer und Vernichtungslager, weil die diese Debatte in ihrem Höhepunkt, teilweise auch, zugegeben, in ihrer Pervertierung abbilden, aber das darf nicht den Blick auf die Vordenker verstellen, die zu ihrer Zeit den Einfluss hatten, den heutigentags die konservativen Medien und ihre rechtslastigen Ausleger gerne hätten. Ich erspare der Leserschaft jetzt Namen, aber wer die Blogbemühungen der Zeit, des Tagesspiegels und der Welt kennt, weiss wovon ich rede.

Ich möchte da niemanden gleichsetzen, zumal es die heutigen Vordenker keinesfalls mt den oben genannten Vorläufern aufnehmen können - ein gekaufter Kopist amerikanischer Neocon-Thesen ist immer noch meilenweit von einem von Zweifeln zerfressenen, unsicheren Fichte oder einem scharfsinnigen Hegel entfernt. Aber was wir hinter dem Geschrei sehen, ist eine Verzerrung der Realität, die so vertraut ist, dass es mir persönlich den Magen zusammenkrampft - ohne dass es eine Übertreibung wäre. Es kotzt mich an.

Denn dahinter sehen wir ein Bild des Muslims, der genauso böse, abstossend und inkampatibel zu "uns" gezeichnet wird, wie es mit den Juden während der gesamten Haskala (die innerjüdische Aufklärung) und der Assimilation gemacht wurde. Diese Angriffe negieren völlig die Umwälzungen und Veränderungen in der Welt, die sich in den letzten 60 Jahren ereignet haben. Weite Teile der arabischen Welt wurden im Eiltempo in eine Entwicklung gepresst, die in Europa nicht ohne zwei Weltkriege und einige Völkermorde und Vernichtung bestimmter Gruppen abging. Angesichts der enormen Veränderungen und der - hierzulande unvorstellbaren - sozialen Verwerfungen muss man den Muslimen zugestehen, dass sie das alles vergleichsweise gut überstanden haben. Das macht keine Hisbollah, keine Hamas, keinen afghanischen Warlord, keinen syrischen Folterer und keinen al-Quaida-Ausbilder auch nur einen Jota besser. Aber "die" Muslime sind einen weiten Weg in kurzer Zeit gegangen. Das sollte man im Westen zur Kenntnis nehmen. Und mal Reiseberichte aus dem osmanischen Reich um 1900 lesen, danach versteht man vielleicht den Sprung vom, europäisch gesagt, hohen Mittelalter in die globale Jetztzeit.

Und da ist es enorm kontraproduktiv, wenn jetzt die altbekannten Hasser und Hetzer, die islamophob angepinselten Rassisten beginnen, den Islam auf ein paar Sätze im Koran zu reduzieren und zu argumentieren, dass die Muslime mal wieder vor den Toren Wiens stehen. Da wird ein Schreckgespent aufgebaut, ein Popanz beschworen, die der Überprüfung in der Realität - bei allen Problemen und schrecklichen Geschichten - einfach nicht standhalten. Wenn sich einer mal die Mühe machen würde, mit wirklich gläubigen Muslimen zu reden, dann kennt man deren Probleme: Dass ihre Kinder nicht mehr in die Moschee gehen, dass sie nicht mehr beten, wie es vorgeschrieben ist, dass sie eigentlich keine Muslime mehr sind - kurz, das kennt man auch vom bayerischen Kaff und den jüdischen Gemeinden. Es gibt auch die andere Entwicklung, die sich in die Extreme flüchtet, aber das sind kleine Minderheiten, gegen die man sich wappnen muss. Es gibt viele Bereiche, in denen man Grenzen aufzeigen muss.

Aber wer den Blick auf die Extreme reduziert und alle, die es nicht tun, als "Appeaser" diffamiert, ist im Kern nichts anderes als eine Person, die die Denkschemata der christlichen, westlichen Abwehr gegen das Judentum wiederholt. Wer Fichtes System eines "Antisemitismus der Vernunft" kennt, erkennt sofort die Strukturen dieses rechten Packs. Wer das Bild des Juden in der "Gartenlaube" kennt, kennt die heutige Propaganda. Natürlich zeichnet man heute eher selten im Stil der antisemitischen Karikaturen vor 100 Jahren, aber man bringt Bilder von schreienden Extremisten. Dieser Ausschnitt der Realität ist ebenso ehrlich wie die frühere Behauptung, es würden doch tatsächlich auch solche "Kaftanjuden" mit grossen Nasen und wulstigen Lippen rumlaufen. Es ist formal richtig, innerhalb des Gedankenbildes des Hasses, aber es lügt sich an der Realität vorbei.

Was bleibt, ist der immer gleiche Kampf zwischen Verständnis und Ablehung, zwischen denen, die hassen und das rationalisieren wollen, und denen, die rational handeln. Es ist eine unvermeidliche Auseinandersetzung in einer Welt, in der man in drei Stunden von einer Kultur zur nächsten fliegen kann. Es ist ein Zweifrontenkrieg gegen die Hasser auf beiden Seiten. Aber es ist ein Krieg, den sie verlieren werden, solange die Mehrheit ihren Kopf benutzt und das Geplärre, da so alt ist wie die Dummheit, als das betrachtet, was es ist: Das, was für die Aufklärung überwunden werden muss.

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