Freitag, 14. Januar 2005

Shabbat Shalom unter Ausschluss des Spiegels.
1934 entschloss sich ihr Vater, sie nach England zu schicken. Er hatte Kontakte in die Schweiz gehabt, und eine Tochter eines dortigen Bekannten hatte nach England geheiratet. Diese Frau war selbst noch keine dreissig Jahre alt, und stimmte sofort zu, das Mädchen aus Deutschland aufzunehmen. Das junge Ding wurde in den Zug Richtung Schweiz gesetzt, dort in Empfang genommen und mit Geld versehen, und von da aus ging es weiter über Rotterdam in die Nähe von London.

Was genau in Deutschland los war, hat sie damals noch nicht verstanden, und es war auch kein wirkliches Problem für sie. Dass ihr Grossvater ab und zu mal in die Synagoge gegangen war, lag lange zurück, irgendwann im Kaiserreich. Sie war ohne Bekenntnis aufgewachsen, ausser natürlich dcm Bekenntnis zu Deutschland. In England war das schnell vergessen, denn die Familie sorgte dafür, dass aus ihr so schnell wie möglich eine perfekte junge englische Lady wurde. Sie spielte Tennis, lernte die englische Art der Teezubereitung und das Essen von Orangen mit dem Obstmesser, verlor den deutschen Akzent, und nahm kaum wahr, was auf dem Kontinent passierte. Bis 1939.

Dann wurde aus der jungen Dame plötzlich eine Fabrikarbeiterin, die Munition herstellte, und Ende 1940 eine Helferin auf einem Flughafen. Die jungen Männer, die dort flogen, lebten nicht oft länger als 2 Monate, dann waren sie verschollen, abgeschossen, verbrannt. Es muss eine furchtbare Zeit gewesen sein, selbst für junge Menschen, die damit vielleicht besser fertig werden. Wenn das Mädchen von damals heute über diese Zeit erzählt, ist das nicht lustig. Sie hatten das Gefühl, "the last man standing" zu sein, und sie selbst wusste 1943 nicht, ob sie nicht die einzige Überlebende ihrer Familie sein würde. Natürlich hasste man die Deutschen.

1947 kam sie nach Deutschland zurück, weil ihre Familie noch Glück gehabt hatte. Es gab einige Überlebende; einer davon kam mit den Amerikanern zurück und jagte Nazis. Das alles dauerte eine Weile, man musste sich erst mal sortieren, Überlegungen wurden aufgeschoben, dann war die Lage in Israel eher schlecht, und in Deutschland fand man sich doch schneller wieder ein, als es zu erwarten gewesen wäre. Die Frau ging nur kurz zurück nach England, holte das Gepäck, die Teekanne, das Obstbesteck ab, und erzählte später in ihrem mit schweren britischen Möbeln eingerichteten Haus ihren Grossneffen, wie das damals auf dem Airfield bei den jungen Briten war, die stoisch und gefasst in den Tod gingen, weil es jemand machen musste, um die Welt zu retten. Manchmal kamen alte Bekannte von ihr aus England; allesamt höfliche, distinguierte Leute; keiner hasste Deutschland nach meinem Wissen, aber sie waren stolz; auch die Krüppel und Witwen unter ihnen.



Was ich damit sagen möchte: Das Bild, das der Spiegel-Korrespondent Matthias Mattuseck voller Häme anlässlich des Versagens des englischen Thronfolgers verbreitet, von den krauthassenden, dumpf deutschfeindlichen Briten; dieses Bild ist in meinen Augen auch nur ein Stück Propaganda, nicht anders als das Geschrei der Sun. Es ist aber auch die Fortschreibung einer Tradition des Spiegels; die Tradition der alten Nazis, die dort in den 50er und 60er Jahren in der Redaktion waren; es ist ein Stück mickriges, kleinliches Stück Rache eines Typen, der genauso geifert, wie das den Krauts unterstellt wird, und dessen moralische Empörung darüber, dass die Briten so wenig über Ausschwitz wissen, auf ihn zurückfällt: Denn die britische Geschichte ist, bis zum Letzten diejenigen niederzukämpfen, die Ausschwitz geschaffen haben. Das werden die Briten nicht vergessen, und niemand, der mit ihnen gekämpft hat. Es war nicht weniger als "the finest hour", und weitaus wichtiger als das Wissen um den Völkermord scheint es mir, dass es Völker gibt, die im Zweifelsfall in Erinnerung an ihre Heldentaten wieder ihre Söhne in den Krieg gegen die verbrecherischen Regime und ihre helfenden Völker schicken.

Heldentaten, Krieg, das mag man hierzulande gar nicht hören, ich weiss. Aber wenn die Briten den Kampf nicht aufgenommen hätten, dann würde es dieses Blog und seinen Autor mit 100% Sicherheit nicht geben, und viele seiner Leser würden statt dessen vielleicht gerade die wichtigsten Passagen von "Mein Kampf" büffeln. Briten sind in ihrer Ablehnung dessen, was man mit Krauts verbindet, also Herrenmenschentum, Arroganz und Dumpfheit, sehr feine Menschen. Was man von manchen Spiegel-Mitarbeitern nicht behaupten kann.

... comment

 
Wissen Sie, es sind Beiträge wie dieser, Herr Uceda, die relativieren und Kontrapunkte setzen und dennoch sachlicher bleiben, als man es angesichts des Bezugsartikels erwarten würde, weshalb man Ihr Blog immer wieder gerne aufsucht. Vielen Dank für Ihr Engagement.

... link  


... comment