Sonntag, 13. Juni 2004

Von wegen Shabbat und so
Regelmässige Leser dieses Blogs wissen, dass der Autor nach seinem Freitaglichen Shabbat shalom für etwa 24 Stunden abtaucht, und seine nächsten Zeilen erst wieder gegen Sonnenuntergang des folghenden Tages verfasst. Sie könnten nun glauben, dass das etwas mit der jüdischen Shabbatruhe zu tun hat, dass der Autor in die Synagoge geht, und mal ausnahmsweise einen Tag ein nettes Jingele ist, wenn er sonst schon die ganze Woche nur rumpöbelt.

Nun ... nicht wirklich. Nein, eigentlich nicht. Es ist so: Am Abend des Shabbat - Freitag Abend nach christlicher Rechnung - gehe ich ins Bett, lese etwas, oder gehe aus. Nicht zu lange. Denn am nächsten Morgen heisst es: Früh aufstehen und auf die Jagd, auf zum Hetzen und Niederstrecken von Antiquitäten. Inzwischen gleicht meine Berliner Wohnung fast schon einer Apartment Trans-European-Oriental, angefangen von der englischen Reiseteekanne über den venezianischen Korblüster und den seidenen Jagdteppich aus Persien bishin zum schweren, syrischen Silbertablett, für das ich es heute nicht bereute, zwischendrin von dem typischen Berliner Sommerwetter - schwerer Regen, Windstärke 6 - durchnässt zu werden.

Für Silber habe ich inzwischen einen, nennen wir es mal, Geschäftspartner. Geschäftspartner deshalb, weil ein bestimmter Münchner Besuch mir das mühsam zusammengeraffte Silber in kurzen Abständen abnimmt, schneller als Ali Babas 40 Räuber. Bekannt ist diese Rotte in meiner Sippe auch als: Meine Schwester. Mein Geschäftspartner und ich sind deshalb dazu übergegangen, dass ich von ihm ausgehend einen regen Zwischenhandel betreibe - ich kaufe bei ihm und gebe das dann zum gleichen Preis an meine Schwester weiter; nur die wirklich luxuriösen Stücke behalte ich - hoffentlich liest sie das hier nicht. Das hier ist meins:



However, mein Geschäftspartner ist Iraner aus der Grenzregion zu Afghanistan, ein gläubiger Muslim und sieht auch so aus - Vollbart, weite Hosen, Weste, weites Hemd. Also genauso, wie sich der landläufige Polizist den typischen internationalen Terroristen vorstellt. Mein Geschäftspartner hat bei den üblichen, knallharten Verhandlungen um Silber mal gefragt, wo ich eigentlich herkomme, Libanon vielleicht? - weil so doch kein Deutscher verhandelt - die meisten hassen das, es ist ihnen peinlich, ich hingegen liebe Verhandeln, ich kann das stundenlang machen, und es gibt keine grössere Enttäuschung, als wenn mir jemand sofort sagt: 1 Euro.

Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, schreibt vor, dass man zu nichtjüdischen Geschäftspartnern noch ehrlicher zu sein hat als gegenüber jüdischen, um nicht "a schand für die Gojm" zu werden - das Ansehen des Judentums also nicht zu beschmutzen. Aber auch so sehe ich keinen Grund, auf diese Frage nicht eine ehrliche Antwort zu geben, es sei denn Nachts um 3 in einer finsteren Strasse, wenn eine Horde Neonazis fragt und ich die automatische Maschinenpistole im Schirmständer vergessen habe.

Seitdem weiss er es, und es ist für ihn ok. Manchmal macht er Witze darüber, von wegen Shabbat und Flohmarkt, oder über meine frühere Tätigkeit als deutscher Nachrichtensprecher für einen iranischen Exilfunk, aber das ist auch alles.

Insofern finde ich es absolut zum Kotzen, wenn ich dann so wie heute höre, dass er innerhalb von 24 Stunden wahrscheinlich wegen seines Aussehens zweimal im Auto angehalten und von der Polizei kontrolliert wurde. He, es ist nur Kleidung!

Zum Kotzen auch, weil das mieseste antisemitische Miststück, das ich in den letzten Jahren kennengelernt habe, garantiert bei jeder Polizeisperre durchkommen würde. Sie ist eine Frau, sie sieht sehr europäisch aus, trägt völlig normale Kleidung, hat mit dem Iran, aus dem ihre Eltern kommen, nichts mehr am Hut, auch nicht mit dem Islam, hat keinen Akzent - und hasst Juden instinktiv. Da kann man - wie ich höchtwahrscheinlich - seine Vorfahren seit über tausend Jahren in Europa haben - spielt absolut keine Rolle. Wehe, man hat auch nur einen Hauch Mitleid für Terroropfer im Nahen Osten. Und wenn man ihr dann argumentativ kommt, sind die Juden sowieso schuld. Auch am Ayatholla, denn den gab´s nur, weil die Amerikaner den Schah für das Böse der Welt, für Israel unterstützt haben. Später hört man dann hintenrum, was sie sonst noch so sagt: Am Elend des Nahen Ostens würde noch nicht mal das Ende von Israel was ändern. Sondern nur, und den Rest sagt sie nicht, aber alle können es sich denken.

Nicht die Kleidung macht den Terroristen. Sondern das, was im Kopf abgeht.

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