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Sonntag, 27. Juni 2004
Was man mal erfinden müsste
uceda, 20:35h
Ein wegklappbares Judentum. So wie das Verdeck eines Cabrios. Manchmal ist es wunderbar, so ein Verdeck zu haben. Zum Beispiel in diesem sog. "Sommer". Aber manchmal will man auch offen fahren, ungeschützt in der Sonne, da können die Mediziner noch so laut vor Hautkrebs warnen, der Heuschnupfen mag einen noch so sehr zum Keuchen bringen. Mit Sonnenbrille sieht man die verquollenen Augen nicht, und bei Tempo 180 hören die anderen auch den Husten nicht mehr.
Ein wegklappbares Judentum hätte wohl auch ein paar negative Folgen. Es klingt jetzt saublöd, ich weiss, aber genausowenig, wie Nichtjuden die Erfahrung kennen, hierzulande Jude zu sein, mit all dieser abartigen Komik, und all den Dingen, weswegen man sein Gegenüber oft mit dem Kopf an die Wand, und so, genausowenig kann man sich als Jude wirklich vorstellen, wie das mal so ganz ohne wäre. Denn da ist immer irgendwo der Kitzel, es zu wissen, wenn man es den anderen nicht sagt, und manchmal auch das Martyrium, es nicht sagen zu dürfen.
Normalität? No way. Ich habe mal den Studienort gewechselt, etwa 200 Kilometer, in Folge einer Guerillaaktion gegen meinen Institutsvorstand, die zwar ein Erfolg war, aber mehr für die Studenten als für mich als ihrem Obermacker. Die Sache mit meiner Herkunft hatte ich, blöderweise,prahlerisch verbreite mehrmals ausdrücklich erwähnt, mit der Folge, dass mich manche Kommilitonen nicht nur für schwul und linksradikal, sondern auch für verantwortlich für die Lage im Nahen Osten hielten. Den ersten Punkt konnte ich noch widerlegen, indem einige Langzeitpärchen am Institut plötzlich finale Beziehungskrise hatten, der Rest hingegen blieb an mir kleben.
Neuer Ort, neues Glück. Der Ort hatte keine jüdische Gemeinde, die Studenten kamen aus der Region und waren so dumpf und behäbig, wie man es dort nun mal ist. Ich sagte keinen Mucks über jedewelches Judentum, denn der Ort machte auf mich den Eindruck, dass Hexenverbrennung dort längst als Brauchtumspflege anerkannt ist. Länger als 2, 3 Tage war ich sowieso nie dort, um den sofortigen Gehirntod zu vermeiden. Die Hölle ist kein Loch mit Feuer, die Hölle hat ein paar 10.000 Einwohner, viele Studenten, Fachwerkhäuser, und eine äh einen linken AStA, der damals so kritikfähig wie ein stalinistischer Staatsaanwalt war - ich vermute mal, inzwischen ist er ein paar Kilometer weiter nördlich*.
Dort also machte ich die letzten Scheinchen nach, unter anderem einen für eine Exkursion, weil ich eine Exkursion in München zerschossen hatte. Ich ging in der Nähe von Brixen mit ein paar Mädchen runter in die Stadt, war irgendwie erst gegen 9 Uhr zurück und Anlass einer der oben erwähnten Beziehungskrisen, was sich auf mein an diesem Tag zu absolvierendes Referat - Melaun-Keramik - verheerend auswirkte. Die Exkursion am neuen Seminar ging 2 Wochen kreuz und quer durch das von mir heiss geliebte Südfrankreich, ohne dass es zu irgendwelchen amourösen Verwicklungen gekommen wäre.
Es kam zu etwas Anderem. Jeden Abend vor den Zelten sammelten wir uns, wenn das nächste Kaff zu weit weg lag - und die von uns besuchten keltische Oppida lagen in aller Regel sehr weit weg von jeder modernen Ansiedlung. An jedem dieser Abende kam es zu Debatten, und es kam immer irgendwie auf ein Thema: Juden. Ich sass mit meinem cabriomässig zurückgeklappten Judentum dabei, hörte mir die Geschichten der gesammelten judenrettenden Grosseltern, möglichen eigener 1/8-Judenschaften und bombensichere Fakten über das Judentum an, von denen ich bis dato noch nie gehört hatte.
Schliesslich, drittletzter Abend in Lauzun (wo es im Übrigen eine grandiose romanische Kirche gibt), war dann das Thema jüdische Trauerfeierlichkeiten gekommen. Der Typ, dessen Opa in der SS an der Ostfront Juden gerettet hatte und vielleicht sogar was mit dem 20. Juli zu tun hatte, referierte ausgiebig über jüdische Begräbnissitten, etwa welche Blumen mitzubringen sind - in Wahrheit überhaupt keine - und irgendwann hatte ich die Schnauze vol und sagte in die ehrfürchtige Stimmung am mitgebrachten Grill und Schweinswürschtl hinein: "Sorry, Mann, aber Du hast echt Scheisse im Hirn." Und erklärte grob, was jüdisches Begräbnis bedeutet. Ich verwendet auch Worte wie Kaddisch - vielleicht manchen bekannt - oder Chewra Kaddischa - und da dräunte es dann manchen, dass das nicht unbedingt Allgemeinbildung ist. Und wenn der Typ sowas weiss, dann stellt sich doch eine Frage....
"Sag mal, bist Du äh jüdisch?", platzte es aus dem SS-Judenretter-Enkel-Ekel heraus, hinein in den sternenklaren Himmel über dem sommerlichen Burgund.
Und so enden dann die Versuche als Cabriojude mit zurückklappbarem Judentum. Die letzten drei Tage waren der Horror; mancher musste seinen schon erprobten Philosemitismus dann gleich am lebenden Objekt ausprobieren. Will sagen: Es geht einfach nicht mit dem Wegklappen, so schön es wäre.
Im Moment versuche ich es aber quasi als Targa-Jude. Manchmal nehme ich es ab und verstaue es teilweise im Kofferraum, das Judentum, aber die Scheiben sind noch da. Allerdings werde ich es nächste Woche wieder dringend brauchen, fürchte ich.
*An alle Deppen: So macht man das ohne jedes Klagerisiko.
Ein wegklappbares Judentum hätte wohl auch ein paar negative Folgen. Es klingt jetzt saublöd, ich weiss, aber genausowenig, wie Nichtjuden die Erfahrung kennen, hierzulande Jude zu sein, mit all dieser abartigen Komik, und all den Dingen, weswegen man sein Gegenüber oft mit dem Kopf an die Wand, und so, genausowenig kann man sich als Jude wirklich vorstellen, wie das mal so ganz ohne wäre. Denn da ist immer irgendwo der Kitzel, es zu wissen, wenn man es den anderen nicht sagt, und manchmal auch das Martyrium, es nicht sagen zu dürfen.
Normalität? No way. Ich habe mal den Studienort gewechselt, etwa 200 Kilometer, in Folge einer Guerillaaktion gegen meinen Institutsvorstand, die zwar ein Erfolg war, aber mehr für die Studenten als für mich als ihrem Obermacker. Die Sache mit meiner Herkunft hatte ich, blöderweise,
Neuer Ort, neues Glück. Der Ort hatte keine jüdische Gemeinde, die Studenten kamen aus der Region und waren so dumpf und behäbig, wie man es dort nun mal ist. Ich sagte keinen Mucks über jedewelches Judentum, denn der Ort machte auf mich den Eindruck, dass Hexenverbrennung dort längst als Brauchtumspflege anerkannt ist. Länger als 2, 3 Tage war ich sowieso nie dort, um den sofortigen Gehirntod zu vermeiden. Die Hölle ist kein Loch mit Feuer, die Hölle hat ein paar 10.000 Einwohner, viele Studenten, Fachwerkhäuser, und eine äh einen linken AStA, der damals so kritikfähig wie ein stalinistischer Staatsaanwalt war - ich vermute mal, inzwischen ist er ein paar Kilometer weiter nördlich*.
Dort also machte ich die letzten Scheinchen nach, unter anderem einen für eine Exkursion, weil ich eine Exkursion in München zerschossen hatte. Ich ging in der Nähe von Brixen mit ein paar Mädchen runter in die Stadt, war irgendwie erst gegen 9 Uhr zurück und Anlass einer der oben erwähnten Beziehungskrisen, was sich auf mein an diesem Tag zu absolvierendes Referat - Melaun-Keramik - verheerend auswirkte. Die Exkursion am neuen Seminar ging 2 Wochen kreuz und quer durch das von mir heiss geliebte Südfrankreich, ohne dass es zu irgendwelchen amourösen Verwicklungen gekommen wäre.
Es kam zu etwas Anderem. Jeden Abend vor den Zelten sammelten wir uns, wenn das nächste Kaff zu weit weg lag - und die von uns besuchten keltische Oppida lagen in aller Regel sehr weit weg von jeder modernen Ansiedlung. An jedem dieser Abende kam es zu Debatten, und es kam immer irgendwie auf ein Thema: Juden. Ich sass mit meinem cabriomässig zurückgeklappten Judentum dabei, hörte mir die Geschichten der gesammelten judenrettenden Grosseltern, möglichen eigener 1/8-Judenschaften und bombensichere Fakten über das Judentum an, von denen ich bis dato noch nie gehört hatte.
Schliesslich, drittletzter Abend in Lauzun (wo es im Übrigen eine grandiose romanische Kirche gibt), war dann das Thema jüdische Trauerfeierlichkeiten gekommen. Der Typ, dessen Opa in der SS an der Ostfront Juden gerettet hatte und vielleicht sogar was mit dem 20. Juli zu tun hatte, referierte ausgiebig über jüdische Begräbnissitten, etwa welche Blumen mitzubringen sind - in Wahrheit überhaupt keine - und irgendwann hatte ich die Schnauze vol und sagte in die ehrfürchtige Stimmung am mitgebrachten Grill und Schweinswürschtl hinein: "Sorry, Mann, aber Du hast echt Scheisse im Hirn." Und erklärte grob, was jüdisches Begräbnis bedeutet. Ich verwendet auch Worte wie Kaddisch - vielleicht manchen bekannt - oder Chewra Kaddischa - und da dräunte es dann manchen, dass das nicht unbedingt Allgemeinbildung ist. Und wenn der Typ sowas weiss, dann stellt sich doch eine Frage....
"Sag mal, bist Du äh jüdisch?", platzte es aus dem SS-Judenretter-Enkel-Ekel heraus, hinein in den sternenklaren Himmel über dem sommerlichen Burgund.
Und so enden dann die Versuche als Cabriojude mit zurückklappbarem Judentum. Die letzten drei Tage waren der Horror; mancher musste seinen schon erprobten Philosemitismus dann gleich am lebenden Objekt ausprobieren. Will sagen: Es geht einfach nicht mit dem Wegklappen, so schön es wäre.
Im Moment versuche ich es aber quasi als Targa-Jude. Manchmal nehme ich es ab und verstaue es teilweise im Kofferraum, das Judentum, aber die Scheiben sind noch da. Allerdings werde ich es nächste Woche wieder dringend brauchen, fürchte ich.
*An alle Deppen: So macht man das ohne jedes Klagerisiko.
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