Dienstag, 6. Juli 2004

Buchhändlerin
Nicht, dass sich die Wege vorher schon gekreuzt hätten, aber die Buchhandlung damals in der Provinz war die gleiche. Ein mit viel Liebe zum Buch geführter Laden, der immer entweder Mädchen oder Jungs ausbildete, ein Jahr weiblich, ein Jahr männlich. Was dem Gesprächspartner die Buchhandelslehre gekostet hat, natürlich sein Leben veränderte, was ihn in die Nähe der Frau brachte, mit der er zusammen ist, die ich zufällig kennenlernte, die etwas ganz anderes tat, was ungeahnte Folgen hatte, das wiederum mich auf den Plan rief, weshalb ich bei ihr übernachtete und dabei ihn kennenlernte und über eben jenes Geschäft sprach. Da haben wir beide viele unserer Bücher her.

Alles steht auf ungeahnte Weise in Verbindung, und nichts ist jemals vorbei. Und eine Woche später bin ich in der Stadt, in der der Buchhändler immer noch ausbildet, und stehe vor dem Haus, in dem vor 10 Jahren eine seiner Auszubildeten wohnte. Ganz oben, unter dem Dach. In Untermiete bei einem Schauspieler, bei dem alle Mädchen ach und weh sagten. Sie wohnte bei ihm, teilte sein Bad und füllte seinen ewig leeren Kühlschrank, aber sonst war nichts.



Aber das war auch schon schlimm genug, in den Augen ihrer Familie. Denn so tough und fit sie in Lederhosen und mit kurzen Haaren aussah, so sehr ihre Lippen Sinnlichkeit versprachen, und die Augen viel Witz - sie hatte einen massiven Fehler. Den ich erst bemerkte, als ich sie nach vielen Büchern fragte, ob sie nicht mal nach München in die Oper wollte, Nozze di Figaro. Sie wollte. Und dann fragte ich sie, ob sie Essen gehen wollte. Wollte sie auch. Wir gingen in die Hauskneipe der CSU, das Pacelli. Irgendwann wurde das Gespräch sehr frostig und einseitig, ein bis dahin netter Abend entwickelte sich zu einer Katastrophe. Ich war mir dabei eigentlich sicher, dass ich keinen direkten Versuch unternommen hatte, eine Nozze di Uceda folgen zu lassen.

Ihre Kollegin erzählte mir eine Woche später, sie hätte es grauenvoll gefunden, dass ich über Sex redete. Nicht wie, sondern überhaupt. Nun ist mein Buchgeschmack durchaus so, dass mir jede Buchhändlerin allein anhand der bestellten Bücher ein gewisses Interesse an geschlechtlicher Liebe unterstellen darf. Nicht in Bezug auf sie, aber generell schon. Was aber überhaupt nicht akzeptabel war, in diesem Fall, denn die Buchhändlerin, um die es geht und mir damals auch ziemlich direkt ging, war bei den Zeugen Jehovas. Qua Geburt. Was ich nicht wusste. Und mir auch nicht vorstellen konnte, denn Zeugen Jehovas waren komische alte Leute mit komischen Zeitschriften, aber keine knackigen Händlerinnen von, um Beispiele meines damaligen Kanons zu liefern, Aragon, de Sade, Mirabeau und Le Sage.

Nun konnte man in dem kleinen Buchladen schlecht voreinander davonlaufen, und ich entschuldigte mich auch, falls ich denn ihre Gefühle verletzt hätte, die sie ja eigentlich gar nicht haben könnte, in dieser Angelegenheit. Und das wunderbare an unserer Service-Gesellschaft ist, dass im Beruflichen auch eine Zeugin Jehovas einen lästermäuligen Semiten mit ausgesuchter Freundlichkeit behandeln muss, was dieser dann zurückgeben kann. So sassen wir dann doch wieder manchmal im Cafe. Und ein halbes Jahr später erzählte sie beiläifig, dass sie ausgestiegen sei. Und ab jetzt beim Schauspieler wohnte. Und einen Freund hatte sie auch noch.

Das hielt auch nicht gerade lang, und dann war ich dort oben unter den Dachgauben bei ihr, wo Tauben müde zum Fenster reinblinzelten und alles sehr pariserisch tat, was diese Provinz manchmal beängstigend gut kann, so dass man sich fast vorstellen kann, hier zu bleiben und alt zu werden, und wo Kronzeuginnen gegen Jehova auspacken, geschieht ihm recht, dem alten Lustfeind, das Licht war pastellig auf ihrer Haut und sie lag auf dem Bett. Es wurde sehr spät, und ich sprach nicht nur über Sex, aber der Schauspieler war nicht da, und es war so eine dieser Nächte, die nie enden dürfen und wenn doch dann später als sie mit ihren Pianistinnenhänden meine Hand nahm und da noch ein letzter Rest Zweifel war, doch sie

Wenn es eine universelle Gerechtigkeit gegeben hätte, wäre sie in dem Moment, hier, jetzt, heute, zufällig wieder in dieser Provinzstadt gewesen, die sie schon lange verlassen hat, und wäre die schmale Gasse hochgekommen, wo ich stand. Und ich hätte nicht das googlesche Orakel nach ihr befragen müssen, das mir jede Antwort schuldig blieb.

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