Dienstag, 26. Oktober 2004

Man kann es sich
natürlich einfach machen. Es gibt gewisse Quotes, nach denen man sich jede weitere Debatte sparen kann. Ab einem gewissen Punkt sind es eben unbelehrbare Antisemiten, fertig aus. Die machen noch nicht mal einen Hehl draus. Und dann wandelt man doch in ihren Spuren, hier, auf dem Voltaireweg in Potsdam.



Voltaire, der grosse französische Aufklärer, hatte es nicht leicht. Seine Leser wurden von der Gerichtsbarkeit in Frankreich manchmal noch verbrannt; viele seiner Werke waren verboten, mussten im Ausland gedruckt und geschmuggelt werden. Mit einem Bein stand er immer im Gefängnis, denn er traute sich was. Aufklärung war keine hochgeistige, unbedeutende und einflusslose Übung wie in Deutschland, Voltaires Aufklärung war der Krieg gegen Bigotterie, Lüge und Religion. Seine kleinen Romane wie Candide oder Zadig sind so geschrieben, dass man fast vom jüdisch zersetzenden Humor sprechen möchte. Es ist nur logisch, dass er dann fliehen musste, nach Potsdam, um dort zumindest eine Weile ducrhatmen zu können.



Ein, nach den Erfahrungen des 20. jahrhunderts, eigentlich sehr jüdisches Schicksal.Auch schon zu Zeiten Voltaires kannte man solche jüdischen Lebensläufe, Baruch Spinoza etwa. Und trotzdem; nichts verabscheute Voltaire mehr als die Juden, zumindest nach seiner eigenen Aussage. Juden waren in seinen Augen schlimmer als die intriganten Jesuiten, die schleimigen Janseniten, gefährlicher als die Büttel und überhaupt "das abscheulichste Volk der Erde...., das schon seit langer Zeit die schmutzigste Habsucht mit dem verabscheuuungswürdigsten Aberglauben und dem unüberwindlichen Hass gegenüber allen Völkern verbindet, die sie dulden und an denen sie sich bereichern." In seinem Philosophischen Wörterbuch, das zu meinen 50 Büchern für die Insel zählt, greifen von 118 Artikeln greifen etwa dreißig die Juden an. Einziger "Pluspunkt" - man soll Juden nicht verbrennen. Na super, Firma dankt.



Das Problem: Ich mag Voltaire. Ich kann mir einreden, dass sein Hass weniger durch reale Juden begründet war, als durch den versuch, das "Alte Testament" madig zu machen und damit das "Neue Testament" zu delegitimieren. Man kann auch sagen, dass Voltaire erst in seinem letzten Lebensabschnitt ausfällig wurde, also lange nach der Zeit, als er in Potsdam durch den Park schlenderte. Und schliesslich wäre Europa ohne Voltaire anders geworden; es hätte niemand die Kirche und ihre Macht so radikal zertrümmert wie dieser 1694 geborene mensch mit seiner unklaren Herkunft, es hätte wohl so schnell keine jüdische Aufklärung gegeben, sicher auch keine Schriftsteller wie Börne oder Heine, und ich kann einfach nicht umhin, ihn zu mögen.



Will sagen: Natürlich ist Antisemitismus scheisse, dumm, bescheuert, eine Schande. Vielleicht kann man Voltaire dafür bestrafen, indem man ihn mag, zum Vorreiter der jüdischen Sache ernennt - er schlug einmal vor, den Staat Israel an der Ostküste des Mittelmeeres zu gründen - und an ihn zu denken, wenn man durch Potsdam geht.

... link (5 Kommentare)   ... comment