Sonntag, 16. November 2003

Jubel No.2: Etgar Keret, Mond im Sonderangebot
Wer noch nicht wusste, warum Klagenfurt Klagenfurt heisst, weiss es spätestens seit diesem Jahr. Da laden also ein paar angebliche Geisteskoryphäen sich ihre Schüler ein, die auch nicht wissen, dass man Sätze unter 10 Wörter schreiben kann. Dann wird das Zeug vorgelesen. Der Preis geht an die Autorin, die die Frisur einer CDU-Kreisvorsitzenden in der hessischen Provinz hat. Und alle Bücher landen dann nach 6 Monaten im Ramsch, weil die Leser mit dem Krempel nichts anfangen können. Dann wird nächstes Jahr in Klagenfurt wieder geklagt.

So einer wie Etgar Keret bräuchte sich da gar nicht blicken lassen. Sein längstes Stück Prosa hatte gerade mal 130 Seiten. Der Roman hiess Pizzeria Kamikaze und handelte von zwei Leichen, die sich auf die Suche nach einer anderen Leiche machen, viel trinken und einmal sogar Sex haben.

Seine neue Kurzgeschichten setzen in Sachen Absurdität noch eins drauf. Und die Bezeichnung Kurzgeschichten verdienen sie wirklich. Es ist Bröckchen-Literatur, genau die richtige Länge für eine Busfahrt und deshalb nach deutschen Feuilletonisten-Massstäben nicht lesenswert. Popliteratur im Besten Sinne des Wortes: Die phantastische Stories kümmern die sich nicht um Erzähltraditionen, Standpunkte und sonstiges Schreibhandwerk. Ein Realitätsbezug ist kaum vorhanden, und wenn, dann nur, um abrupt ins Surreale abzugleiten. Hinter jeder Normalität lauern Abgründe, Märchen und Wunder.

Keret nimmt die Leser mit auf einen Hexenritt hinauf in seine Erfindungsgabe, und von da oben, zwischen verwandelten Frauen und einem fetten Mond, sieht man dann ganz klar, was die Normalität wirklich ist: Auch nur eine Erfindung, ein Konstrukt, das man sich zurechtbastelt.

Kerets Geschichten wirken als literarische Exstacy-Pillen. Man kann sie locker einwerfen, und nach einer Weile kommt die Wirkung, eine gewisse Zeit des High seins, und dann setzt einen die Geschichte wieder ganz sanft im Leben ab.


Etgar Keret, Mond im Sonderangebot, Luchterhand Literaturverlag, ISBN 3630871534, 17,50 €

Und wer ihn live sehen will: Etgar Keret is reading & good looking am 27.11.2003 um 20 Uhr in der Literatur Moths, Rumfordstr. 48.
80469 München.

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