Mittwoch, 7. Juli 2004

Grenzerfahrung
Unten im Tal herrschten bis zum beginn des 19. Jahrhunderts die Eichstätter Fürstbischöfe. Es ist kein besonders guter Boden dort unten; ohne Eisenverhüttung und später Keramikproduktion hätte diese Region nie besonders floriert, aber alles zusammengenommen mit Wiedewirtschaft auf den Hängen war es im Mittelalter und in der frühen Neuzeit eine wohlhabende Gegend.

Die Hocheben dagegen, von deren Rand herunter das Bild aufgenommen wurde, ist karg, kaum besiedelt, und die Äcker sind voller Steine. Hier ist die jahrhunderte lang die Grenze, die kein Jude ohne Passierschein überqueren durfte.



Die Machtgier der Eichstätter Bischöfe war eigentlich auf das Tal begrenzt. Oben auf der Hochfläche sassen kleine, oftmals protestantische Adlige in ihren Kleinstterritorien. Man merkt es sofort daran, dass es hier oben keine "Marterl", Wegkreuze mit Jesus&Mary gibt. Nach den geschlossenen Herrschaftsgebieten Bayern, Pfalz-Neuburg und Eichstätt begann hier die Kleinststaaterei. Und manche dieser kleinen Territorien nahmen Juden auf, die im späten Mittelalter aus Altbayern vertrieben worden waren.

Es waren keine Goldenen Zeiten. Das Dorfjudentum hat kaum Spuren hinterlassen, wie es überhaupt in Dörfern nur sehr wenige historische Befunde gibt. Kleine Ladenbesitzer, Trödler, Viehhändler waren typische Berufe. Was unten im Tal an grösseren Orten wie Greding oder Beilngries lag, war selbst mit Erlaubnis eine No go Area. Das Tal ist bis heute voll von Geschichten über jüdische Hostiendiebe und Kindsentführer und deren grausamer Hinrichtung.

Gleich nach der Napoleonischen Ära zegen viele Juden nach Bayern. Der Fürstbischof war abgeschafft. Man konnte im Tal siedeln, ganz gleich ob Jude oder Evangele, oder weiter nach Regensburg, München und Ingolstadt. Die kleinen Gemeinden der Hochebene waren gegen 1900 meistens schon aufgelöst. Aber die Erinnerung an diese Grenze blieb über 200 Jahre lebendig. Kann gut sein, dass meine Vorfahren hier oben standen und runter ins Tal schauten, Jahr für Jahr, Generation für Generation, und was für mich nichts weiter als ein paar Meter mit dem Auto ist, war für sie das Ende ihrer Welt. Und manchen gelang es, auf der Hochebene dann wieder die Zeit des Nationalsozialismus zu überleben.

Diese Juden aus der Hochebene des südlichen Franken seien a bsondere Rass gewesen, sagt man in Bayern und Franken. Zäh. Beharrlich und stur. Und eine meiner intensivsten Kindheitserinnerungen ist ein Ausflug mit meiner Familie Mitte der 70er Jhre in dieses ärmliche Kaff, wo ein Teil der Familie herstammt. Mein Vater und ich kamen von der Burgruine herunter, und dann kam eine steinalte Frau auf uns zu und sagte, direkt und ohne zögern: Se san von de Viehhandler Meyer. Des seat man. A bei dem Kleana.

Das sind so die Dinge, an die man denkt, wenn man auf einem aufgelassenen Acker um Klee sitzt, einen Grashalm zwischen den Zähnen und dem Klatschmohn was erzählt.

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beim klatschmohn..
..wäre ich vorsichtig, was ich ihm so anvertraue.
der erzählt immer alles gleich weiter..

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Genau. Erzähl's lieber uns.

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Ich sagte Klatschmohn (papaver vulgaris), nicht dass jemand an das Brabbeln mit Schlafmohn (Papaver somnium) denkt.

Und so ein Blog ist ja des diskreteste Medium wo gibt, keine Frage.

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Auch wenn es nach Besserwisser klingt: Die Pflanze heißt Papaver somniferum. Was der schönen Geschichte aber keinen Abbruch tut.

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Äh ja, danke
Paläoethnobotanik - das gibt es wirklich, ja! - als Ergänzung zum Haptstudium ist bei mir schon eine Weile her, sorry. 10 Jahre, um genau zu sein.

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Genau das ist das Problem
Wenn man mitten im Studium steckt weiß man solche Dinge, um sie nachher schnell zu vergessen.

Paläoethnobotanik klingt aber wirklich nett.

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Seufz.
Bei uns an der Fakultät gabs nicht mal schnöde Paläobotanik, nur -zoologie.

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