Freitag, 26. März 2004

Back 2 the 90ies/1: Rabinovici, Ohnehin
Nach der Machtübernahme der blauschwarzen Koalition wurde ich nach Österreich versetzt. Meine Heimat Bayern ist nicht gerade ein liberales Land, ich bin auch aus anderen europäischen Ländern einiges gewöhnt, aber dieses Österreich ... ein Alptraum. Wir von der amerikanischen Auslandspresse wurden behindert, belogen, angedisst, und überhaupt mit der ganzen Unverschämtheit behandelt, mit der in Österreich die freie Berichterstattung unterdrückt wird. Der metternichsche Obrigkeitsstaat lebt bis heute in den Ritzen der Amtsstuben.



Dieses bleierne Österreich ist die Kulisse für Doron Rabinovicis Roman "Ohnehin". Rabinovici klagt das System nicht an, sondern lässt es als kaum fühlbare Bedrohung im Hintergrund mitlaufen: Den Rassismus, die Willkür, die dümmliche Ignoranz, Attentate und braune Sager. Nur manchmal schlägt diese Wiener Melange zu und greift in das Leben der Hauptpersonen ein: Eine Clique von thirtyandsomethings, die sich auf dem Naschmarkt treffen. Sie sind sowas wie ein ambivalenter Gegenentwurf zur österreichischen Gesellschaft. Im Freundeskreis der Hauptperson Stefan Sandtner sind gewandelte Maoisten, durchgeknallte Töchter von Naziverbrechern, Flüchtlinge des Bürgerkriegs auf dem Balkan, Griechen, Türken und Juden.

Das Buch begleitet sie eine Weile, wandert unspektakulär vom Einen zum Anderen, und macht keine Anstalten, die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Kann sein, dass manche Leser den gesamten Roman als skizzenhaft und unfertig empfinden werden, aber gerade im trägen Fortschreiten der Handlung ohne Spannungsaufbau und Höhepunkt gibt dem Buch etwas sehr Authentisches - zumindest, wenn man eine Weile die Wiener Kreise miterlebt hat, die Rabinovici beschreibt. Wenn nicht - dann kann es sein, dass man die fragilen Netze, Beziehungen und das Ungesagte in "Ohnehin" nicht versteht.

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