Sonntag, 5. Dezember 2004

Irgendwie fremd
Das, von dem die Rechten immer reden, von den Fremden, die zwar hier leben, aber in diesem Land innerlich nie angekommen sind - das sollte man nicht so einfach wegwischen.

Natürlich denkt das Leitkultur-Luder dabei an finstere Orientalen, die sich anders anziehen und beim frühen Tageslicht Obstkisten schleppen, und deren Söhne in tiefergelegten Fords Schnulzen aus Istanbul laufen lassen. Ich fahre keinen Ford, meine Familien leben seit Jahrhunderten hier, weitaus länger jedenfalls als das "Flichtlings-Gschwerrl", wie der gnadenlose bayerische Volksmund die Sudetendeutschen bezeichnet. Die im übrigen doch auch in ihren Mercedes-Limousinen Schnulzen aus der Egerländer Heimat hören, aber das ist eine andere Sache. Ich und viele meiner Freunde, beileibe nicht nur Juden, empfinden eine, sagen wir mal, abstammungsbedingte Fremdheit. So wie die junge Frau, mit der ich gestern Essen war: Intelligent, gute Ausbildung, gleich nach der Geburt nach Deutschland gekommen, die Eltern selbst auch ein deutsches Idealpaar. Nur eben - sie kommt aus einem anderen Erdteil, das sieht man ihr an, im besten Sinne des Begriffs.



Das führt trotzdem in ihrem Leben zu Konflikten und Problemen. Es liegt nicht an ihr, sondern an der Umwelt, die damit nicht umgehen kann, blöd schaut, gewisse Erwartungen in ihre "Rasse" setzt, und ich vermute stark, dass es bei Menschen aus Afrika nochmal eine Ecke heftiger kommt.

Andere Bekannte haben Namen, die die Herkunft erkennen lassen, auch wenn sie nicht anders aussehen als Hinz und Kunz, Respektive bei jüdischen Freunden, Creti und Pleti. Es sind Kinder und Enkel von Menschen, die teilweise schon vor fast 60 Jahren hier angekommen sind, alle sind hier geboren, sprechen perfekt Deutsch - was schon wieder so ein Zeichen der Fremdheit ist. Aber wenn wir uns treffen, genügen meistens nur ein paar Worte, ein, zwei Fragen, und schon reden wir über das, was uns anders erscheinen lässt, und über die Frage, ob wir anders sind. Die Fortsetzung der jüdischen Selbstzweifel im Lichte der "Multi-Kulti-Gesellschaft", an die auch nur die Arschgeigen glauben, die die Realität da draussen in ihren versifften Bierzelten nicht mitbekommen. Multi-Kulti ist ebenso wünschenswert und unwahrscheinlich wie ein Ende der (Männer-)Gewalt in den Familien.

Und weil für den grossen Teil der Mehrheitsbevölkerung Döner oder Chinapfanne und einen kleineren Teil das Klezmerkonzert und japanische Geigerin die Inbegriffe von zulässigem Multi-Kulti sind, weil ihnen der ganze Rest vollkommen am amtlich-arischen Arsch vorbei geht, sitze ich dann mit einer schönen Frau beim Essen, sage ihr, dass sie sich den ganzen Dreck nicht zu Herzen nehmen soll, so what, schlimmer wäre es doch, wenn wie genau so wie die anderen wäre, aber innen drinnen weiss ich, dass sie sich die Dinge nur bewusster macht, oder es ihr aufgrund ihrer Abstammung brutaler reingedrückt wird, als mir, der ich zu einer, wenn man so will, bevorzugt behandelten "Luxusrandgruppe" gehöre. Und damit, zumindest an diesem Abend, sehr fremd in diesem Land bin.

Und das ist nicht das Problem der tiefergelegten Fords, der lauten Musik, der Sprache, der Ghettos, der Erziehung, alles Dinge, die auf mich und meine musterdeutsch fremden Freunde nicht zutreffen - es ist das Problem der real existierenden Leitkultur. Wer da dann noch von mir einfordert, dieses bescheuerte NaziOralgedicht (Rechtsschreibung ist meine Stärke) auf einer vergewaltigten Haydn-Melodie zu singen, dem wünsche ich, dass er mal die Unterbodenansicht von Mehmeds tiefergelegtem Ford zu Gesicht bekommt, und zwar die ganze Strecke von der Mass bis an die Memel, und von der Etsch bis an die Belt. dass er sich zuvor mal mit der Realität auseinandersetzt - Gesprächspartner gäbe es genug.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Es ist so mit dem Patriotismus:
Ich liebe Essen, ich liebe Ficken, und einiges mehr - aber dieses Land - ne, das liebe ich nicht, genausowenig wie jedes andere Land. Sollte ich einen Moment in Versuchung kommen, den Südrand der Alpen in Richtung Verona und die dortige Landschaft sowie die dortige Küche und die beim Sex knarzenden, dicken Hotelbetten zu lieben, muss ich nur an Berlusconi, Bossi und die Neofaschisten denken, um auch das nicht zu lieben.

Und ich werde auch nicht auf die Idee kommen, dieses Land indirekt zu lieben, indem ich es esse oder ficke oder sonstwas. Und wenn man Patriot sein will, sollte man beim CDU-Parteitag den Antrag stellen, die CDU wegen ständiger Inkompetenz, mit ihren braunen Rändern aufzuräumen, aufzulösen und das gesparte/eingenommene/auf schwarzen Konten beschlagnahmte Geld wohltätigen Zwecken zuzuführen.

Dann wäre Deutschlend einen guten Schritt weiter auf dem Weg zur Liebenswürdigkeit.

... link (0 Kommentare)   ... comment