Dienstag, 28. Dezember 2004

Susan Sonntag
1933-2004

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Bevor wir mit der Frage nach dem Messias weiter machen
eine Zwischenbemerkung wegen der heutigen Debatte: Ich spreche niemandem seinen Glauben, seine Überzeugungen oder was auch immer ab. Ich sehe auch absolut keinen Grund, jemanden zu überzeugen, dass das Judentum oder eine seiner Strömungen in Bezug auf religiöse Inhalte recht hat; zumal ich selbst eher Agnostiker bin und nicht nur aufgrund der Shoa nicht der Meinung bin, dass das, was Moses vom brennenden Dornbusch versprochen wurde, heute noch Gültigkeit hat. Warum ich dennoch Jude bin, ist eine andere Frage; man kann aber auch aus Sicht des jüdischen Religionsgesetzes Gott leugnen, ohne das Judentum zu verlieren. Das ist einer der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Judentum und Christentum.

Zurück zum Thema. In diesem Blog wurde die Frage gestellt, warum Juden in Jesus nicht den Messias sehen. Das ist eine Frage, die den absoluten Kern der Religion betrifft; würde ich das glauben, wäre ich eben kein Jude mehr, sondern Christ jüdischer Abstammung. Nachdem andere das aber ebenso glauben, wie ich es nicht glaube, und es ihnen wichtig ist, halte ich eine umfassende Antwort für angemessen. Schlisslich reden wir hier nicht über den Weihnachtsmann, Judas Maccabäus oder die Evolutionstheorie; das alles ist irgendwo verhandelbar, da gibt es Kompromisse, oder beide Seiten heben die Schultern und geben zu, dass sie auch nicht in Besitz der ganzen Wahrheit sind. Im Judentum ist das völlig in Ordnung - Wissen, Wissenschaft und Glaube sind keine Gegensätze, und wenn sich ein Glaube als falsch herausstellt, wird er eben geändert. Banales Beispiel: Tabak galt im 19. Jahrhundert als anregend und koscher, heute kennt man die Folgen und hat ihn für nicht koscher erklärt. Alles easy.

Wenn man mich fragt, warum ich nicht vom Judentum abfalle, nehme ich mir das Recht heraus, auch mit Methoden der Wissenschaft nachzuschauen, was denn die Grundlage für den frommen Wunsch ist. Dass das sog. Neue Testament nicht aus einem Block besteht und viele Quellen hat, wird jeder wissen, der die Apostelgeschichte gelesen hat - in der gibt die aus dem Text herausfallenden "Wir"-Passagen, von denen die Christen selbst annehmen, dass sie ältesten Teile der Überlieferung sind; geschrieben etwa 30 Jahre nach dem Tod des angeblichen Christus von seinen Jüngern und teilweise noch vor der Apostelkonferenz, in der die Heidenmission beschlossen wurde, nachdem sich die Juden als höchst resistent erwiesen hatten. Ob das Johannesevangelium jetzt 90 oder 120 Jahre nach Beginn der christlichen Zeitrechnung geschrieben und von 3 oder 5 Teams bis zur Einbringung in den Kanon überarbeitet wurde, ist Gegenstand einer ganzen Wissenschaft, der Patristik. Für mich reicht es zu wissen, dass die Kerntexte der christlichen Bibel nicht mal eben kurz nach Christi Himmelfahrt ohne jeden Hintergedanken notiert wurden, sondern von Leuten später geschrieben wurden,

a) um explizit den Anspruch von Christus als Messias zu beweisen, und die Probleme dieser Interpretation geradezubiegen.

b) die die Geschichte bestenfalls vom Hörensagen kannten und Stücke bei anderen Evangelien geklaut haben, eben weil sie selbst nicht dabei waren.

c) denen man dank der Wissenschaft inzwischen auf die Schliche gekommen ist.

Es ist nicht meine Wissenschaft, ich verstehe auch, wenn überzeugte Christen das nicht schön finden, aber das, was ich von den christlichen Forschern selbst bei optimaler Auslegung und Datierung weiss, reicht nun mal beim besten Willen nicht aus, als dass ich mich danach richten würde. Das muss jeder für sich selbst entscheiden; haltet es nach Eurem Wunsche; ich sage jedenfalls: "Non credo, nego". Warum - dazu dann morgen mehr.

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