Montag, 13. September 2004

Mein Tag mit Jesus*
Vielleicht machen wir was drüber, haben sie gesagt. Schau es dir mal an, kannst ja Bescheid geben ob da in Artikel draus wird. Aber nur, wenn du nichts anderes vor hast. Ich hatte ihnen gesagt, dass die Mehrheit jetzt einen auf Happening macht, mit Visions, Jesusmarketing und Intensivbeten und ähnlich blöder Dotcom-Scheisse, aber man kann ja mal schaun, was es damit so auf sich hat.

Also bin ich eigentlich erst mal nicht hin, zum Jesus Day 2004, von dem ich annahm, es sei die bekiffteste Idee seit dem Idioten von Religionslehrer, der mich am Gymnasium anfaselte, ich soll doch in seinen Unterricht kommen, statt in der Pausenhalle mit den paar Vorzeigetürken und den Atheisten Schafkopf zu spielen. Aber nachdem die dafür die Strasse des 17. Juni blockiert hatten, und ich nur die Wahl hatte, entweder weit aussenrum zu fahren oder doch mal reinzuschauen, bin ich doch hin. Ich habe die Nacht durchgemacht, in meinem Mund sind noch ihre Speichelreste erschmeckbar, insofern bin ich in der richtigen Stimmung für eine kalte Dusche. Oder eben diese Christen.

Gleich am Anfang will mir jemand ein Programmheft geben. Als ich sage, brauch ich nicht, sagt er, es würde ja nur 4 Euro kosten und zum Gelingen des Tages beitragen. Ich schiebe ihn beiseite, was das Problem aber nicht kleiner macht. Alle paar Minuten will mir jemand das Heft aufdrängen, übrigens auch günstige Gebrauchtexemplare bis runter auf 2 Euro. Wahrscheinlich ginge diese Kohle dann eher in die Grillwürste, deren Gestank über dem ganzen Happening liegt. Oder in Öko-Rabarberkuchen mit Dinkel und Linsenstreusseln, oder was man sonst hier isst.

Wenn man nach so einer Nacht irgendwas nicht erträgt, dann sind das so pralle, zufriedene Gesichter mit Schlabberkleidern drunter und der gelben Sau von Sonne drüber. Was man bräuchte, wäre eine Stunde in der Badewanne mit ihr, ihren Augenringen und den Gedanken, dass man dafür und für das versaute Bett verantwortlich ist. Hier gibt es keine Augenringe, nur Typen, die sich bemühen, von innen heraus zu strahlen wie ein AKW nach dem GAU. Warum, werde ich gleich merken.

Auf mich stürzt eine blonde, hagere, strahlende und auf 1000 Meter erkennbar lustfeindliche Frau mit dem Aussehen der jüngeren Angela Merkel zu. Drückt mir einen Kaffee in die Hand, eine Karte in die andere, und sagt: Jesus liebt Dich. Nein, sage ich in ihre strahlende Domestosfresse, der findet mich absolut zum Kotzen, ist eine alte Geschichte, ausserdem trinke ich nur Tee, danke für das Angebot, und gebe ihr das Gesöff zurück. Kennt man ja, Kaffee trinken, zum Stand gelotst werden, und dann her mit der Kohle für das gute Werk. Was ist denn mit Dir los, fragt sie mich verdattert und strahlenreduziert, aber ich gehe einfach weiter durch das Gedränge Richtung Brandenburger Tor. Übrigens, auf der Karte steht "Mit dieser kleinen Aufmerksamkeit wollen wir Gottes Liebe auf eine praktische Weise weitergeben", dazu noch ein paar rote Herzchen. Sieht aus wie die Freikarten fürs Pornokino, die im Wedding manchmal in die Aussenspiegel gesteckt werden, eine kleine Aufmerksamkeit unserer local Pimps.

Nächste Attacke. Diesmal was aus der Kategorie "grünweisses Ringelshirt" und Homophoben-Schweinsaugen, männlich, schütteres Haar, schweissstinkend. Drückt mir einen Wisch in die hand, zum Mitsingen. Gleich daneben ist eine Runde, die sich im Arm hält und alle Septen der Welt aus ihren Stimmbändern würgt. Und links 2 3 4 klatschen die Leute aussenrum, man wippt mit den Knien und ist so gut drauf ist, wie der Psycho nach der Familienpackung Prozac. Hab sowas mal mitgemacht, Ende der 13. Klasse in der Provinz, da sangen wir sweet home alabama und Guru kotzte dabei in die Runde, danke, hatte ich schon mal, ohne mich.

Weiter durdch das Gewühl, es wird zunehmend strange, komme mir vor wie auf der Geisterbahn, irgendwas ganz Fieses, Krankes muss in diesen Leute lauern, ich mein, wenn so viele zusammenkommen und sich zuprosten, dass sie Recht haben und ihnen das Himelsreich gewiss ist, dann hat das was von Massenhysterie und gehört in die Geschlossene, aber nicht hier in die Öffentlichkeit, wo sie zum Pissen einfach in den Wald nebenan gehen, entsprechend scharf stinkt das auch alles, aber sie bekommen es nicht mit, weil sie ja auf dem Trip sind, vielleicht sind sie auch süchtig nach dieser Luft, es soll ja die dollsten Dinge geben. Und die Kinder. Alles ist voller quäkender Blagen. Die Leute hier pflanzen sich fort, werden mehr, am Ende haben sie wieder die Mehrheit, und dann gute Nacht, Deutschland. Dann marschieren sie mal so richtig gen Berlin, und werden uns ihre Welt mit Takko-Klamotten, Stattauto-Vereinsmitgliedschaften und Kernseifensex aufzwingen.

Darf ich dich was fragen, kommt es von rechts, aber bevor ich nein sage, haben meine Synapsen schon auf Frauenstimme = fickbar geschaltet, scheiss Unterbewusstsein, ich drehe mich um, und da steht eine kleine, dunkle Asiatin an der Hand eines Typen, den ich im Normalfall für einen dieser Frauenbesteller gehalten hätte, aber hier ist das nicht üblich, hoffe ich, aber andererseits, wer kann das schon sagen, egal, da steht sie also und sieht wirklich lecker aus. Und sagt: Wir sind von der Evangelisationsirgendwas und wollen dich bitten, uns diesen Fragebogen auszufüllen.

Sorry, sage ich, ich bin hier nur als Reporter, ich bin unbelehrbar, danke für das Angebot.... Aber trotzdem, gerade dann, bitte, wir wollen wissen, was andere denken, sagt sie, sie sagt es wirklich nett. Schau mal, sage ich, du verstehst nicht, ich bin nicht wie ihr. Ihr seid Christen. Andere Baustelle, ok? Aber... Nichts aber. Ich bin kein Christ, ich hab nicht mal Ahnung von dem Zeug hier, ich weiss nur, dass euer Verein meinen Glauben für seine komischen Vorstellungen usurpiert hat, ok? Aber gerade der Dialog mit Andersdenkenden ist uns wichtig, quäkt der Typ daneben dominant rein, und ich fange an zu glauben, dass er sie wirklich im Katalog bestellt hat, weil zum Teufel, was will die mit so einer Pickelfresse? beten, klar, aber sonst? Guck, sage ich, wenn eure Religion Recht hat, habe ich echt verschissen. Umgekehrt ist es so, dass, wenn meine Religion Recht hat, ihr euch hier ganz umsonst abstrampelt. Ist nun einfach mal so. Das hier ist der Jesus Tag. Ich glaub noch nicht mal, dass es den gegeben hat, und dieses Erlösertum da - ich deute auf den grölenden Sangeskreis, der was von Rettung röchelt - wird bei uns abgelehnt. Wir warten noch auf den Erlöser.

Bist du Jude, fragt sie. Ja, sage ich, damit ich endlich Ruhe habe. Oh, klasse, sagt sie mit ganz anderem Interesse als dem Acquisitionsgespräch gerade noch, kannst du mir sagen, wo eigentlich das Mahnmal sein wird? Da hinten, sage ich, weil mir im Moment einfach nichts anderes einfällt. Who the fuck am I dass ich wissen müsste, wo der ihr komisches Mahnmal ist? Egal. Ich habe die Schnauze voll, soll sie doch mit ihrem blinden Himmelsreichspickelträger mahnmalen, dort, wo sie ihn hinschleift. Als ich mich in die vollgepissten Büsche schlagen will, schiebt mir jemand dann noch seine Titten ins Gesicht. Angesichts der Höhe der eher kleinen Titten und des massigen Bauches darunter ein Mann, soweit man das unter all dem Fett beurteilen kann. Jesus wird dich erlösen, sagt es/er, grinsend. Hinter ihm, auf der Bühne, legt eine christliche Band los.

Too much. Es ist Schabbat Nachmittag, und ich bräuchte dringend einen Fick, nach einer Dusche, und was Ungesundes zum Essen. Diese Schweinespeckröllchen aus chemischen Schaumstoff mit irre viel E-Farbstoffen zum Beispiel. Später der Anruf, ob ich daraus eine Artikel mache. Ne, sage ich, gibt nichts her, nur einen Blogeintrag.


*Im Zweifelsfall ist das Gonzo-Journalismus eines übernächtigten Juden, falls jemand auf die Idee kommt zu sagen, dass man das nicht darf und es gegen die Versöhnung ist.

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Tag des jüdischen Denkmals
Heute gibt es was Besonderes im Wedding zu sehen: Die Gartenstadt Atlantik an der Behmstrasse ist für Besucher geöffnet. Um 15.00 Uhr ist die Führung, beginnend im Lichtburgforum, Behmstrasse 13. Das Besondere an der Gartenstadt: Ein ziemlich einzigartiges Bauhaus/Art Deco-Ensemble, das in jedem besseren Architekturführer für das XX. Jahrhundert abgebildet ist. Ausserdem ist die Gartenstadt ein Stück jüdische Geschichte: Erbaut von Richard Fraenkel, und bis heute im Eigentum einer jüdischen Familie, die das Ganze als deutsch-türkisch-jüdisches Gemeinschaftsprojekt betreibt.

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