Donnerstag, 4. Dezember 2003

"Kultur"-Radio
O mei. Die Zeit, das führende Brandbeschleunigungspapier der gutbürgerlichen Kachelöfen, regt sich ernsthaft über das Ende der Kulturradios auf. Oder über das, was sie dafür halten.

Dabei kann man durchaus auch die Frage stellen, wer diese Kultur eigentlich noch gehört hat. Wer zum Radio ging und genau diese eine, meistens irrwitzig teure und mit verrücktem Aufwand produzierte Egoshow einiger Redakteure rezipiert hat. Zum Beispiel das tränenreiche 24-Minuten-Feature über den Synagogenbau in Deutschland, aus dem so viel falsche Betroffenheit trieft wie aus der typischen Sonntagsrede eines Politikers - und sich die Macherin auf der anderen Seite nicht zu blöd ist, synagogale Musik als Musikbett unter O-Töne zu klatschen. Was der Typ da singt ist egal, solange es nur traurig klingt.

Oder die Kulturkommentare, in denen versucht wird, mit den Kollegen vom FAZ-Feuilleton zu konkurrieren, mit 10 Fremdwörtern und 5 Nebensätzen pro Satz. Oder Beiträge, die mit zeigefingrien Abschweifungen zur traurigen Lage der Kulturnation auf 12 Minuten gestreckt werden. Nur die Ähs schneidet man natürlich nicht aus den O-Tönen - da müsste man ja digital arbeiten, und so ein echter Kulturredakteur hat ja eine Aufnahmeleitung und einen Tekkie, die das alles auf schönem, alten Band machen.

Kost ja nur Gebühren. Man liegt jedes Jahr gut 10% über dem Etat, aber das haben die öffentlich-Rechtlichen irgendwie schon wieder reinbekommen. Wenn es darum ging, dass es vielleicht etwas hörerfreundlicher wird, brach immer der Untergang des Abendlandes an. Jingles oder ein einheitliches Sounding konnte man diesen Leuten nicht zumuten. Und sobald es ein paar zögerliche Reformen gibt, kommen die Kumpels von der Zeit und pisaen rum, bevor sie wieder ein hochspannendes Buch über die Lyrik des Biedermeier unter besonderer Berücksichtigung der Kulturkritik Heines bringen.

Heine würde heute wahrscheinlich FM4 hören. Salon Helga. Und Luna Luce. Und sich freuen, wenn ein paar von den Huch äh Hochkulturnasen mal das reale Leben der Gebührenzahler mitbekommen, auf den Fluren des Arbeitsamtes.

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schwerenöter
ich habe an und für sich kein problem mit schwerenöter-kulturradio. muss ja auch mal sein. von mir aus.

problem ist aber das mitunter das budget in keinem verhältnis zur hörerzahl steht. und was machen die entscheider von der ARD: nicht genügend hörer? also machen wir die kulturprogramme flauschiger. alles magaziniger mit langen musikstrecken zum nebenbeihören. käpt'n, das niveau sinkt.

die lokalmatadoren der ARD kommen aber kaum auf die idee, dass es so richtig keine notwendigkeit für 7-8 kulturprogramme in deutschland gibt. warum nicht ein einziges, deutschlandweites kulturradio, inkl. lokalfenster. oder deutschlandradio und DLF endlich mal sauber durchstrukturieren (DR = feuilleton + musik, DLF = politik + aktuelles).

artverwandtes problem bei den nachrichtensendern, popwellen und jugendwellen. wo liegt die existenzberechtigung von fritz UND hr-xxl UND eins-live? von dasDing UND n-joy? so wenig scheu man hat, alles im äther durchzuformatieren, oder die gleichen moderatoren einzusetzen (eins-live + hr-xxl), den letzten konsequenten schritt, die durch-nationalisierung der radiowellen, den scheut man.

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So leicht ist das nicht
Der Bayerische Rundfunk würde ja nie nicht seine Nachwuchs-Halbkreativen vom Zündfunk aufgeben. Könnte ja sein, dass bei einem einheitlichen Programm irgend so ein RBB-Fritz es wagt, den Kids zu sagen, dass Herr Stoiber einer der schlimmsten Bildungskürzer ist und sie doch auch mal auf die Strasse raus sollen - und das ohne vorher beim Hauptabteilungsleiter schriftlich absegnen zu lassen.

Rundfunk ist immer noch Ländersache und Rundfunkratsache. Da hat jeder sein Fleckerl, und würde es nie aufgeben.

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Und natürlich
würde auch Herr Wowereit nur ungern einen Infokanal in Berlin haben, der vor Wahlen gerne mal die Ausgewogenheit vergisst, wie man das in manchen Ländern des Südens beobachten kann - die unheilige Spätzle-Weisswurscht-Allianz lässt grüssen.

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